Widerstand und Widerstreit

Seit einigen Tagen mache ich mir Gedanken über den Ort – die Handlungsperspektiven – von Widerstand in Lyotards Philosophie des Widerstreits. Ausgehend von einem Gespräch, das ich mit einigen Kommilitonen nach dem Seminar führten, wollte ich eine These in den Raum stellen, die sich um eben jene Handlungsperspektiven des Widerstandes dreht.

Wie ist Widerstand denkbar?
Widerstand muss den Widerstreit zum Ausdruck bringen. In einer (zb. politischen oder sozialen) Diskursart sind bestimmte Dinge nicht sagbar, die aber danach drängen gesagt zu werden. Kapitalismus als Regelsystem des ökonomischen Diskurses, lässt beispielsweise keine Sätze zu, die sich dem ökonomischen Diskurs entziehen. Das ist der Widerstreit. Widerstand gegen die diskursive Formation der Ökonomie findet aber dennoch innerhalb eben dieser statt (beispielsweise durch Aneignung der Produktionsmittel durch die Proletarier).
An dieser Stelle muss der Einwand erfolgen: Widerstand kann nicht als aktive Opposition zu gegebenen Umständen gedacht werden. Jedes Einlassen auf die Diskursart verknüpft die Sätze auf die gleiche Art weiter, „legitimiert“ somit den Diskurs und stabilisiert ihn. Widerstand und Fundamentalkritik dürfen sich also nicht auf diskursimmanente Positionen beziehen, sie dürfen den Diskurs nicht fortführen.
Was aber, wenn ein Diskurs eine Quasi-Hegemoniale Stellung (in einer Gesellschaft) einnimmt (wie das im ökonomischen Diskurs der Fall ist). Wie lässt sich Widerstand nach Lyotard dann überhaupt denken. Wo sind die Ansatzpunkte?
Meine These lautet dazu: einzig und allein in der Totalverweigerung.
Der Begriff Totalverweigerung stammt aus einer Situation des Widerstreits. Die Totalverweigerung beschreibt die totale Verweigerung des Kriegsdienstes, also nicht die Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen (Zivildienst) sondern die Nicht-Anerkennung der Wehrpflicht und der damit einhergehenden Dienstpflicht jedes männlichen und wehrtauglichen Bürgers der Bundesrepublik. (Siehe auch Lyotards Ausführungen zur „Verpflichtung“)
Im Diskurs des Wehrdienstes, der aus der Konstitution der bundesrepublikanischen Gemeinschaft rührt, ist diese Verweigerung nicht denkbar. Sie ist strafbar und wird so in einen Rechtsstreit überführt.
Sie ist aber die einzige wirksame Waffe dem Wehrdienst seine gesellschaftliche Legitimation zu nehmen. Eine Verweigerung aus Gewissensgründen, der zivile Ersatzdienst verpufft als individueller Gewissensbiss. Die totale Kriegsdienstverweigerung macht auf den Widerstreit aufmerksam und führt ihn in aller Deutlichkeit vor die Augen der Gesellschaft.
Bezugnehmend auf die kommenden Protestaktionen und den Widerstand gegen die Ökonomisierung der Geistes- und Sozialwissenschaften lässt sich meines Erachtens folgendes festhalten:
Jedweder Protest, jeder aktiver Widerstand gegen die derzeitige Mittelvergabe der Universität führt zwangsläufig zur Legitimierung eben jener Ökonomisierung die Angegriffen wird. Wenn man Lyotards Argumentation folgt gibt es keinen anderen Ansatzpunkt des Widerstandes innerhalb eines Diskurssystems als die Verweigerung, das Schweigen. Nur so ließe sich auf einen bestehenden Widerstreit aufmerksam machen, nur so wird der Satz des Widerstands nicht durch pervertierende Sätze anderer Diskursarten verknüpft.

8 Kommentare

  1. Bis zum letzten Absatz kann ich Dir folgen, aber dann wird es mit deiner Gleichsetzung von Widerstand, Verweigerung und Schweigen etwas kryptisch.

    Mal anhand Deines angesprochen Beispiels gefragt: Müsste dieses Schweigen dann nicht auch den kompletten Ausstieg aus dem System Universität nach sich ziehen? Und würde das dem System Universität überhaupt auffallen?

    1. @ Mark: Das Schweigen ist in diesem Falle als das Schweigen innerhalb von Lyotards Philosophie zu verstehen. Schweigen ist, um es mal kurz und knackig auf den Punkt zu bringen, jener Moment in dem etwas in einem Diskurs nicht „zur Sprache“ gebracht werden kann. In diesem Sinne ist der Effekt der Totalverweigerung das Schweigen, das Resultat sollte das Aufmerksammachen auf den Widerstreit sein. Das Ergebnis die Öffnung des Diskurses hin zum Dialog.

      Zu deinen Fragen: Ja, so interpretiere ich Lyotard. Es ist ja ein ausgesprochenes Paradoxon Ökonomie-kritisch zu forschen und Argumente für diese Ökonomiekritische Forschung zu finden um gleichzeitig die Mittelvergabe an der Universität zu beeinflussen, sprich direkt in den ökonomischen Diskurs einzutreten.
      Die zweite Frage zielt ja auf eine spekulative Antwort. Allerdings sei dazu angemerkt, dass früher oder später eine Totalverweigerung selbstverständlich auffallen würde.

      Dieses Konkrete Beispiel wählte ich aber auch nur um die Aktualität dieser post-modernen Philosophie ins Bewußtsein zu rufen. Mir ging es allgemein um Handlungsperspektiven von Widerstand in der „Postmoderne“.

  2. Mit und bei Mark versuche ich gerade genau das Gegenteil auszumachen: Wie sich gerade trotz fehlender räumlicher Eingriffsmöglichkeiten etwas ‚tun‘ lässt – wobei die Effektivität dessen, was man zu ‚tun‘ glaubt, auch wiederum in Frage steht. Um ein aktuelles Beispiel aufzugreifen: Auf die Auseinandersetzungen in Gaza übertragen, hieße Deine These ja „Bloß keine Kritik äußern; sie wird sofort zur Legitimierung der Kampfhandlungen (von beiden Seiten) eingespannt.“

    Inzwischen habe ich für solche postmoderne Selbstlähmung kein Verständnis mehr; vor allem verträgt sie sich in keinster Weise mit den Zielsetzungen, die man „postkolonial“ nennen darf. Ein Grund, warum ich unter anderem auch dieser Meinung bin.

    1. @ Willyam: Mir geht es nicht darum eine allgemeine These aufzustellen wie Widerstand funktionieren oder eben nicht funktionieren kann. Die Zielsetzung des Beitrags war Einzig und Allein „Räume“ von Widerstand in der Postmoderne (zumindest laut Lyotard, wobei ich mich zu erinnern glaube, dass Derrida auch gar nicht so weit weg ist von dieser Idee des Widerstandes) auszumachen. Und wie wir sehen sind diese doch ausserordentlich Eng.

      Um nochmal dein Beispiel aufzugreifen (mal davon abgesehen, dass ich vermutlich anderer Meinung bin, was Kritik am Israelischen Staat ansich angehtNachtrag: eine etwas gewissenvollere Lektüre deiner Beiträge lässt mich nun etwas anderes vermuten): Krieg ist laut Lyotard nur ein Fall in dem ein Widerstreit verschiedener Diskurssysteme ersichtlich wird. Dein Beispiel verkürzt dabei die Lyotardsche Argumentationslinie Extrem. Nicht Handelnde Personen (Seiten) spannen ein, sondern die Verknüpfung eines Satzes mit einem nächsten Satz innerhalb eines Regelsystems spannt ein. Das bedeutet mitnichten, dass Kritik nicht möglich ist. Natürlich ist diese Möglich. Auch am Krieg. Nur: Im Nationaldiskurs Israels wäre beispielsweise ein Widerstand gegen den Israelischen Staat, die Infragestellung des Existenzrechtes des Staates, nicht denk- und nicht sagbar (nicht aufgrund der historischen Ursachen, nur aufgrund der Regeln die den Diskurs bestimmen). Ebenso verhält es sich natürlich für die Palästinensische Seite und den Nationaldiskurs dort.

      Nur um das kurz zu beantworten.

      Und wo du das Schlagwort „Postkolonial“ erwähnst. Hauptkritikpunkte (u.a. an Bhaba) an der ursprünglich ja durchaus „widerständigen“ Postcolonial Theory waren doch die fehlenden Widerstandsräume (oder anders gesagt: Wenn alles der 3. Raum ist, wo kann dann Widerstand gegen den 1. überhaupt ansetzen?).

      Übrigens als persönliche Randnotiz: Ich bin noch lange nicht fertig mit der Post-Moderne (und ich habe bei weitem noch keine Antworten auf die Fragen die sich mir bei der Lektüre stellen), ich fange grade erst an 😉

  3. @Kim: Danke, das macht einiges klarer. Wobei die Totalverweigerung wohl nur dann sichtbar werden würde, sollte ein ausreichend großer Teil der am Diskurs beteiligten Personen so handeln. Ansonsten, mit Deinen Worten gesagt, verpufft die Verweigerung als individueller Akt.

    Auch das PoMo-Individuum kann nicht alleine 😉

  4. Was den gedachten ‚Eingriff‘ in den Diskurs durch ’schweigenden Widerstand‘ anbelangt, kann ich Dir schon folgen: ich halte nur wenig davon; man hat mehr davon, meine ich nach wie vor, wenn man die Grenzen des Diskurses be- und ausleuchtet. Und das gelingt nur, wenn man zugleich im und außerhalb des Diskurses steht, der verhandelt wird.

    Ich bin ja auch noch mittendrin und weit davon entfernt, damit abzuschließen: Post hier, Post da; einmal modern, einmal kolonial. Dann irgendwie keins von beiden, dann doch zusammen, gleichzeitig ungleichzeitig.

    Das aus meiner Sicht maßgebliche Problem hat Mark angesprochen -„[a]uch das PoMo-Individuum kann nicht alleine“. Und die Hürde, vor der ich gerade stehe, ist die Einsicht, dass die Theoretiker, sprich: die Akademiker, die sehr wohl feine Theorien formulieren können, keine Intellektuelle sind. (Bhabha wird nicht umsonst ‚Blabla‘ genannt.) Abgesehen von der Drittmittelwerbung kaum politisches Engagement, kein Bezug zu einer ‚Praxis‘ irgendwelchen Widerstands. Oder wann hast Du das letzte Mal konkret darüber diskutieren können, wie und wo Du Deine Konzepte von „strategic essentialism“ und postcoloniality effektiv umsetzen kannst? Und auf Konferenzen das Gefasel von der Wiederbelebung eines cosmopolitanism, ergänzt durch die Bestimmung „methodoligical“. Wenn man sich meldet und dieses oder dieses einwendet, erntet man zutiefst reaktionäre Antworten … In Kürze also: Ich bin gespannt auf Deine Sicht der PoMo/PoCo-Engpässe … 🙂

  5. Ja ich gebe euch beiden bezgl. des „Individuums“ in der PoMo recht. Die Subjektkonstruktion der Postmoderne ist eh ein problematisches Feld (wieviel Willen, Steuerung, Aktion gesteht die PoMo dem einzelnen überhaupt zu?), das ich noch zu durchdringen versuche.

    Einer der Gründe, die mich zur Blog-Führung veranlassten ist eben die Vernetzung, verbunden mit dem Wunsch, einerseits der Meinungsbildung aber vor allem der Meinungsäusserung. Nur ein Netzwerk von vielen, sich interdisziplinär mit diesen Themen befassenden, Menschen kann meines Erachtens einen Einfluß auf den gesellschaftlichen Mainstream Diskurs ausüben.

    Interessanterweise befasse ich mich gerade ein wenig mit (Post-)Kolonialismus in den Erziehungswissenschaften, genauer mit der Frage: Wie kann man Wissen (über den Kolonialismus) vermitteln ohne sich der gleichen Diskurse zu bedienen und diese wieder zu stabilisieren.

    Dass postkoloniale Theorien noch nicht im (wissenschaftlichen) Mainstream angekommen sind, empfinde ich übrigens nicht so sehr als Problem als vielmehr als Motivation sich ernsthaft mit der Rezeption auseinanderzusetzen.

  6. Falls ich mir den Hinweis anmaßen darf: Ich hab‘ mich grad an Gayatri Spivaks Aufsatz „How to Teach a ‚Culturally Different‘ Book“ erinnert …

    Und was Dein Bemühen um kritische Rezeption anbelangt: Betrachte mich als „Verbündeten“ … 🙂

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